Robert Reinert verbindet in seinem Film Opium, der einen englischen Arzt bei seinen Forschungen über die Wirkungen von Opium nach China und Indien führt, exotischen Thrill mit erotischen Schauwerten. Die Einfärbungen des Films verstärken die psychedelische Wirkung der von Elfen und Satyrn bevölkerten frivolen Traumsequenzen. Die Typographie der Zwischentitel ändert sich je nach Handlungsort. Der von Zensur und Verleihern verstümmelte Klassiker wurde neu rekonstruiert. Die farbige Rekonstruktion stützt sich auf Nitrofilmelemente aus den Filmmuseen München und Düsseldorf und aus dem Filmarchiv Austria. Mit 2.150 Metern kommt sie der Premierenfassung näher als alle bisher bekannten Überlieferungen. Im Booklet zur DVD beleuchtet Stefan Drössler die bisher unbekannte Lebensgeschichte von Robert Reinert, als Zusatzmaterial bietet die DVD zudem ein Fragment von Reinerts verschollenem Monumentalfilm Sterbende Völker.
Der Film
Opium - Deutschland 1919 - Drehbuch und Regie: Robert Reinert - Kamera: Helmar Lerski - Darsteller: Eduard von Winterstein, Hanna Ralph, Werner Krauß, Sybill Morel, Friedrich Kühne, Conrad Veidt, Loni Nest - Produktion: Monumentalfilm Robert Reinert, München - Premiere: 7. Januar 1919, München - Rekonstruktion 2018: Filmmuseum München & Filmmuseum Düsseldorf - Edition: Stefan Drößler, Andreas Thein - Bildbearbeitung: Christian Ketels, Iris Rosendorn, Stefan Wimmer - Musik: Richard Siedhoff, Mykyta Sierov - Live-Mitschnitt einer Aufführung bei den Bonner Stummfilmtagen am 17. August 2018
Über den Film
Dieser "Monumentalfilm" schwelgt geradezu in "Sensationen en gros". Fast jede Szene ist in ihrer Eigenart eine kleine "Sensation". Das größte Lob an dieser Arbeit gebührt dem Spielleiter Reinert. Mit welchen überzeugenden Mitteln hat er es verstanden, die Schönheiten Chinas und Indiens in Neubabelsberg erstehen zu lassen! Wenn man nicht weiß, wo das Werk aufgenommen wurde, kommt man wohl schwerlich dahinter, dass all das Chinesenviertel, Inderstadt, Löwendschungel in einem Vorort Berlins von kundiger Hand für die flüchtige Aufnahme erbaut worden ist. Von besonderer Wirkung ist die Wiedergabe der Opiumträume: im Rausche wirbeln Erlebnisse und Phantasie in unkenntlichem Durcheinander vorbei. Es gibt keine andere Darstellungsmöglichkeit, die die Wirkungen des Opiumgiftes in einer derartigen Lebenswahrheit wiederzugeben vermag. Hier versagen Bühne und Buch; nur die Technik des Kinematographen triumphiert.
Egon Jacobsen, Der Kinematograph, 5.2.1919
Opium: Zunächst einmal ein handelsüblicher Stummfilm mit melodramatischer Kolportagehandlung. Seifenoper pur, dargestellt in unglaublich expressiver Spielweise, die heute so leicht unfreiwillig komisch wirkt. Werner Krauß als Chinese gibt alles, um so richtig böse und durchtrieben zu sein, blickt tückisch, schleicht sich ins Bild, um den anderen Protagonisten das Fürchten zu lernen (übrigens interessante Bildkompositionen, wenn Krauß irgendwo seinen Kopf dazusteckt, was die Balance des Bildes erschüttert.) Krauß spielt Nung-Tschang, Opiumhändler und Feind aller Europäer. Denn einst hat ein weißer Arzt ihm die Frau gestohlen. Diesen Dr. Armstrong hat er mit seinem Gift zerrüttet, die geliebte Frau umgebracht; die Tochter Frucht der Sünde namens Sin hält er gefangen. Bis Eduard Winterstein als Prof. Gesellius daherkommt, Erforscher des Opiums, und ihm Sin raubt. Die Rache wird fürchterlich sein!
Und wenn die Räusche anfangen, dann wird es wild. Dann wird es psychedelisch. Dann wirds super! Nackte Nymphen an einem See, tanzend, springend, dazwischen Satyre und Faune, auf Ziegen reitend die ganze unterdrückte Sexualität wird hochgespült. Tatsächlich habe ich
Opium schon einmal gesehen, vor vielen Jahren an den ganzen Quatsch drumrum kann ich mich nicht erinnern, die traumhaften Rauschszenen aber... Und hier, in dieser Fassung, kommen die fetten Farben der Virage hinzu; und Zwischentitel, expressiv angepasst an die Handlungsorte die chinesisch-artigen Buchstaben sind kaum zu entziffern...Freilich war das damals sicherlich eine rudimentäre Fassung; denn hier lief die Welturaufführung des von den Filmmuseen in München und Düsseldorf restaurierten Films, der Versuch, möglichst nahe an die 1921 zensierte und gekürzte Premierenfassung heranzukommen. Kein leichtes Unterfangen, weil es zu jeder Szene auch alternative Einstellungen gab, Drehbuch etc. aber nicht erhalten sind. Puzzlearbeit und Ratespiel.Und was für ein wilder Film ist hier rausgekommen! Ja gut, manchmal komisch. Wenn Veidts Figur aus Schock über die Ergeignisse die Stimme verliert und alles aufschreiben muss, auf eine große Tafel, damit es auch der Zuschauer lesen kann... Aber irgendwann, im letzten Drittel, da verwischen sich Rausch und Traum und Wirklichkeit und Film, weil die Handlung vollends losgelassen wird: Wir kommen nach Indien, Gesellius fängt was an mit der Frau des Maharadschas, der böse Chinese als Racheengel immer auf seinen Fersen, die Stadt steht in Flammen, als Strafe: Verbannung in den Löwendschungel (der aussieht wie Mischwald der gemäßigten Zone, aber immerhin mit vielen Raubkatzen).Das Glück will Gesellius erhalten. Das Glück, das in diesen schweren Zeiten für viele abhanden gekommen ist. Deutliche Anspielung auf den Weltkrieg, gerade erst vorbei. Und das ist natürlich eine wichtige Lesart des Films: Das Opium als Verdrängungsmechanismus, der kurzfristiges Glück bietet, langfristiges Elend beschert... Heilung ist möglich, aber schmerzhaft, weil das süße Vergessen nicht mehr möglich ist... Und natürlich das Trauma des Heimkehrers von der Front, dass die Frau mit einem Daheimgebliebenen zusammenlebt... Und so sehr der Film auch die Qualen beklagt, die das Opium hervorruft es sind süße Qualen, das zeigt er auch. Die im schlimmsten Falle Erlösung bringen.
Harald Mühlbeyer, epd-Film 20.2.2018
DVD-Features
- Opium 1919, 92'
- Klavierbegleitung von Richard Siedhoff & Mykyta Sierov
- Dokumente und Szenenvergleiche von Opium 4'
- Fragmente von Robert Reinerts Sterbende Völker (1922) 9'
- Booklet mit Texten von Stefan Drößler und Robert Reinert
Herausgeber: Filmmuseum München
DVD-Authoring: Gunther Bittmann, Tobias Dressel
DVD-Supervision: Stefan Drößler
1. Auflage Januar 2021