Doppel-DVD über die Anfänge des Kinos. Klavier spielende Hunde, bis zur Schmerzgrenze biegsame Schlangenmenschen, lokale Aktualitäten "in lebender Größe und Bewegung": das frühe Jahrmarktkino war ein Medium der erregenden Attraktionen und Sensationen. Neben den Variété-Theatern waren es insbesondere Wanderkinos auf Rummelplätzen, die zur raschen Etablierung des Kinematographen als populäres Medium beigetragen haben. Unter dem augenzwinkernd marktschreierischen Titel "Crazy Cinématographe" gräbt diese Doppel-DVD die verschüttete Jahrmarktkino-Tradition aus. Handkolorierte Serpentinentänze, erotische Pikanterien und lokale Straßenszenen evozieren die bunte Vielfalt früher Nummernprogramme. Die DVD "Europäisches Kino der Attraktionen 1896 1916" präsentiert in einer abwechslungsreichen Abfolge Raritäten aus den Schatzkammern europäischer Filmarchive, von dänischem Anarchisten-Slapstick über schottische Röntgenfilme bis zu einer belgischen Raubtier-Verfolgungsjagd. Die DVD "Lokalfilme aus der Großregion 1902 1914" zeigt ein vergessenes Filmgenre, das seinerzeit ein Publikumsmagnet der Wanderkinos war: Aus Luxemburg, Trier und Saarbrücken sind Filme u.a. des Wanderkinos der Familie Marzen erhalten. Gedreht wurden jeweils Szenen mit der lokalen Bevölkerung, damit sich die Leute gegen Eintritt auf der Leinwand in "lebenden Porträts" selbst betrachten konnten.
Die Filme
Europäisches Kino der Attraktionen - 1896-1916 - Herausgeber: Cinémathèque de la Ville de Luxembourg - DVD-Supervision: Claude Bertemes - Kuratoren: Vanessa Toulmin, Claude Bertemes, Nicole Dahlen - Musik: Günter A. Buchwald
Lokalfilme aus der Großregion - 1902-1912 - Herausgeber: Medienwissenschaft der Universität Trier - DVD-Supervision: Martin Loiperdinger - Kuratoren: Brigitte Braun, Fränk Grotz, Uli Jung, Paul Lesch, Martin Loiperdinger - Musik: John Sweeney - Sprecher: Sylvie Flammang, Mike Knight, Addi Schäfer, Carole Schimmer, Michèle Staus
Über das Jahrmarktkino
Die Blütezeit des Wanderkinos in ganz Europa war zwischen 1896 und 1914. Damals wurden Filme an verschiedenen Orten der Unterhaltung gezeigt: in Varieté-Theatern als eine Programmnummer von 10 bis 20 Minuten, die hauptsächlich aus Aktualitäten bestand; auf Jahrmärkten und in größeren Sälen als selbstständiges, 20 Minuten bis über zwei Stunden dauerndes Programm aus märchenhaften Trickfilmen, lustigen Sketchen und Aktualitäten. Ab 1906 wurden diese abwechslungsreichen Kurzfilm-Programme zunehmend in ortsfesten Kinos gezeigt, die das kommerzielle Wanderkino ab 1912 allmählich verdrängten. Abgesehen von ländlichen Regionen, die über keine Kinos verfügten, war das Wanderkino nach dem Ersten Weltkrieg weitgehend auf nicht-kommerzielle Programmangebote von politischen Parteien,Kirchen oder Wirtschaftsunternehmen beschränkt.
In der hohen Zeit des kommerziellen Wanderkinos vor dem Ersten Weltkrieg bereisten mittelständische Unternehmen mit großen Zelten die einschlägigen Jahrmärkte und Volksfeste. Dieprächtigen, mit zahllosen bunten Glühbirnen geschmückten Fassaden dieser "elektrischen Märchenpaläste" gehörten seinerzeit zu den größten Attraktionen auf dem Münchner Oktoberfest, dem Bremer Freimarkt oder der Luxemburger Schobermesse. Die großen Zeltkinos fassten bis zu 2000 Zuschauer und waren auf festen Routen oft in mehreren Ländern unterwegs.
In kleinere Orte reisten so genannte Saalspieler: Sie hatten Projektoren und Filme dabei und mieteten einen Saal für ihre Vorführungen, zum Teil unabhängig von den festen Terminen der Jahrmärkte und Kirchweihfeste. Bekanntester Saalspieler in der Großregion war "Edison's Elektrisches Theater" der Familie Marzen aus Trier.
Bei der Etablierung des neuen Mediums Kinematographie spielten die Wanderkinos die entscheidendeRolle. Selbst in Kleinstädte und Dörfer brachten sie die das "technische Wunder der lebenden Photographien". Die Programme waren international: Die meisten Filme kamen aus Paris, viele auch aus Großbritannien, Italien und den USA. Die größte Attraktion waren aber stets Lokalaufnahmen: Die örtliche Bevölkerung wurde beim Verlassen der Kirche nach dem Sonntagsgottesdienst oder beim Verlassen einer Fabrik zum Feierabend gefilmt und konnte sich selbst' "in lebender Größe und Bewegung" auf der Leinwand bestaunen!
Martin Loiperdinger
DVD-Features (Doppel-DVD)
DVD 1: Europäisches Kino der Attraktionen
- Will Evans, the Musical Eccentric GB 1899, 1'
- Anarkistens Svigermoder DK 1906, 4'
- Dansa Serpentina F 1900, 1'
- Le Roi des Dollars F 1905, 2'
- L'Homme mystérieuxF 1910, 6'
- Le Réveil de Chrysis F ~ 1897-99, 1'
- Premier Prix de violoncelle F 1907, 3'
- Agoust Family of Jugglers GB 1898, 1'
- Les Tulipes F 1907, 4'
- Dr. Macintyre's X-Ray Film GB 1896, 1'
- Dr. Macintyre's X-Ray Cabinet GB ~ 1909, 1'
- Bain des dames de la cour F 1904, 1'
- 13 The Adventures of "Wee Rob Roy" No. 1 GB 1916, 4'
- Les Kiriki, acrobates japonais F 1907, 3'
- The ? Motorist GB 1906, 3'
- Photographie d'une étoile F 1906, 2'
- Les Chiens savants F 1907, 5'
- Horrible Fin d'un concierge F 1903, 2'
- A Peace of Coal GB ~ 1910, 3'
- Miss Harry's femme serpent F 1911, 3'
- Bain de pieds à la moutarde F 1902, 2'
- Scène pornographique F 1909, 2'
- L'Amblystôme F 1913, 7'
- Le Barbier fin de siècle F 1896, 1'
- Lèvres collées F 1906, 2'
- The Tale of the Ark GB 1909, 6'
- Fâcheuse Méprise F 1905, 1'
- Sculpteur moderne F 1908, 6'
- Acrobati comici I 1910, 5'
- Fox terriers et rats F 1902, 1'
- Saïda a enlevé Manneken-Pis B 1913, 7'
- Au revoir et merci F 1906, 2'
- Musikbegleitungen von Günter A. Buchwald
- 8seitiges Booklet mit einem Text von Martin Loiperdinger
DVD 2: Lokalfilme aus der Großregion Luxemburg/Trier/Saarbrücken
- Das malerische Luxemburg 1912, 6'
- Übertragung der Gebeine des Hl. Willibrord 1906, 2'
- Echternacher Springprozession 1906, 5'
- Schlussprozession Octave 1911, 3'
- Kavalkade 1905, 2'
- Blumenkorso 1906 1906, 3'
- Trauerzug für Großherzog Wilhelm IV 1912, 5'
- Eidesleistung der Großherzogin Marie-Adelheid 1912, 5'
- Marie-Adelheid im Kino 1912, 1'
- Ein Besuch in der Champagnerfabrik Mercier 1907, 9'
- Autofahrt durch Trier ca. 1903, 2'
- Domausgang zu Trier 1904, 2'
- Domausgang am Ostersonntag 1909, 3'
- Fronleichnamsprozession in Trier 1909, 3'
- Bilder aus Trier 1902-1909, 5'
- Leben und Treiben auf dem Viehmarkt 1909, 2'
- Blumenkorso 1914 1914, 3'
- Straßenszenen in Saarbrücken ca. 1908, 5'
- Musikbegleitungen von John Sweeney
- Audiokommentare in Deutsch, Englisch, Französisch, Luxemburgisch und Trierer Dialekt
Herausgeber: Cinémathèque de la Ville de Luxembourg, Medienwissenschaft der Universität Trier
DVD-Authoring: Ralph Schermbach
DVD-Supervision: Claude Bertemes, Brigitte Braun
1. Auflage Juli 2007, 2. Auflage September 2007, 3. Auflage August 2008, 4. Auflage Januar 2012
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