Die phantastische Geschichte von dem Studenten Balduin, der seinen Schatten dem Teufel verkauft und daran zugrunde geht, war einer der ersten deutschen "Künstler-Films", für den ein populärer Schriftsteller, Hanns Heinz Ewers, ein Originaldrehbuch und ein angesehener Komponist, Liszt-Schüler Joseph Weiss, eine Originalmusik schrieb. Die Doppel-DVD präsentiert Der Student von Prag in unterschiedlichen Varianten und Laufgeschwindigkeiten sowie einen Kurzfilm von Hanns Heinz Ewers, der im selben Jahr hergestellt wurde. Der ROM-Bereich enthält ausführliche Dokumente zu den Filmen von Ewers und zur Musik von Joseph Weiss.
Der Film
Der Student von Prag - Deutschland 1913 - Drehbuch und Regie: Hanns Heinz Ewers - Kamera: Guido Seeber - Originalmusik: Josef Weiss - Darsteller: Paul Wegener, Grete Berger, Lyda Salmonova, John Gottowt, Lothar Körner, Fritz Weidemann Produktion: Deutsche Bioscop Gesellschaft m.b.H., Berlin Premiere: 22. August 1913 (Berlin, Mozartsaal & U.T.-Lichtspiele Friedrichstraße)
Über der Film
Der Student von Prag entstand im Frühsommer 1913 an Originalschauplätzen in Prag und inden 1912 neu errichteten Studios in Potsdam-Babelsberg. Zur Premiere schrieb der Liszt-Schüler und Klaviervirtuose Josef Weiss die erste eigenständige Filmmusik, die als Klavierauszug überliefert ist. Die Uraufführung des Films fand am 22. August 1913 in den "Mozart-Lichtspielen" am Berliner Nollendorfplatz statt. Beworben wurde Der Student von Prag als erster Versuch, "in Darstellung und Dichtung großeernste Kunst" zu zeigen. Der große Erfolg des Films veranlasste die Produktionsfirma, noch 1913 eine leicht gekürzte Exportfassung mit englischen Titeln herzustellen, die weltweit gezeigt wurde.
Die Geschichte des Studenten Balduin, der einen Teufelspakt abschließt, greift ein romantisches Motiv aus der deutschen Literatur auf und begründet die Phantastik des deutschen Stummfilms, die später von Friedrich Wilhelm Murnau, Fritz Lang und anderen weitergeführt wurde. Verblüffend ist heute noch die Kameraarbeit von Guido Seeber, die schon in der ersten Szene des Films mit sorgfältig choreographierten Plansequenzen und Doppelbelichtungen arbeitet, die man in dieser Vollendung noch nie gesehen hatte. Gemäß dem Anspruch, keine bebilderte Literatur zu sein, verzichtete der Film weitgehend auf Zwischentitel. Entsprechend den Konventionen der Zeit, wurden die Szenen des Films eingefärbt. Im Prolog stellen Regisseur Ewers und Hauptdarsteller Wegener den Handlungsschauplatz Prag vor.
Der originale Film wurde 1915 von der Produktionsfirma "Deutsche Bioscop" an "Robert Glombeck. Deutsche Filmindustrie KG" verkauft. Als 1926 eine Neuverfilmung anstand, brachte ein geschäftstüchtiger Filmverleiher das Original als "Wiederaufführung" in die Kinos, allerdings in einer überarbeiteten Form: War Ewers noch stolz gewesen, dass er einen Film mit möglichst wenigen Zwischentiteln hergestellt hatte, die inder Tradition der Nummernrevue des Jahrmarktkinos in der Regel am Anfang jeder Szene wie Kapitelüberschriften standen, ergänzte Glombeck zusätzliche Orts- und Zeitangaben, Handlungserklärungen und Dialoge auf ins gesamt 107 neu erstellten Zwischentiteln, die er gemäß der Stummfilmkonvention der 1920er Jahre direkt in die Szenen einfügte. So hat sich der Film über 60 Jahre in den Archiven erhalten.
Für die neue Rekonstruktion des Filmmuseums München, die in Zusammenarbeit mit Wilfried Kugel fertiggestellt wurde, konnten auf mehr oder weniger fragmentarische Export-Nitrokopien aus Japan und den USA zurückgegriffen werden. Die englischen Zwischentitel waren zum Teil schlechte und fehlerhafte Übersetzungen der originalen deutschen Titel, die offenbar 1913 in Berlin hergestellt wurden. Durch eineandere graphische Gestaltung deutlich erkennbar hoben sich von den jeweiligen Bearbeitern neu eingefügte zusätzliche Erklärtitel ab. Die noch vom verschollenen Originalnegativ gezogenen Kopien wiesen eine verbesserte Bildqualität auf, enthielten verloren geglaubte Einstellungen wie z. B. den Prolog und lieferten mit ihren Einfärbungen wichtige Anhaltspunkte für die Viragen der Originalkopien. Die originalen Zwischentitel und Viragen wurden nach zeitgenössischen Vorlagen wieder hergestellt, die wenigen fehlenden Einstellungen am Anfang des Films sind durch kurze Schwarzphasen markiert.
Die vorliegende DVD veröffentlicht erstmals alle vom Filmmuseum München erstellten und autorisierten Fassungen des Films. Die Fassungen mit der Originalmusik in der bearbeiteten Orchestrierung durch Bernd Thewes und mit der von Mark Pogolski eingespielten Version für Klavier laufen mit unterschiedlichen Vorführgeschwindigkeiten. Zur Stummfilmzeit konnte die Projektionsgeschwindigkeit von Vorführung zu Vorführung variieren, es gab es keine verbindlichen Normen. Die Exportfassung mit englischen Zwischentiteln läuft, ebenso wie der beigefügte Kurzfilm Die ideale Gattin, mit der Ende der 1920er Jahre festgelegten Tonfilmgeschwindigkeit. Wir wissen, dass manche Kinos die Filme noch deutlich schneller vorgeführt haben und sich keineswegs an einer für uns heute selbstverständlichen "Realistik" der Bewegungsabläufe orientierten.
Die von der Deutschen Hörfilm gGmbh im Auftrag des Filmmuseums München erstellte Audiodeskription für Sehbehinderte beschränkt sich nicht nur auf die möglichst objektive Beschreibung von Bildinformationen, sondern greift die in den 1910er Jahren übliche Praxis des "Kinoerzählers" auf, der den noch nicht mit Großaufnahmen und Dialogtiteln arbeitenden Filmen interpretierende und erfundene Detailinformationen hinzufügte. So ist sie auch für Sehende mit Gewinn hinzuzuschalten, vermittelt sie doch einen Eindruck von einer Form der Filmpräsentation, die in der Tradition der Bänkelsänger, Geschichtenerzähler und Conférenciers von Varietétheatern standen.
Stefan Drößler
DVD-Features (Doppel-DVD)
DVD 1
- Der Student von Prag 1913, 76'
- Originale Klaviermusik von Josef Weiss, interpretiert von Mark Pogolski
- Audiodeskription der Deutschen Hörfilm
- The Student of Prague or A Bargain with Satan 1913, 46'
DVD 2
- Der Student von Prag 1913, 83'
- Orchestermusik von Bernd Thewes nach der Originalmusik von Jodef Weiss, interpretiert vom Orchester Jakobsplatz München unter der Leitung von Daniel Grossmann
- Die ideale Gattin 1913, 16'
- Umfangreicher ROM-Bereich mit dem Originalscript und Dokumenten zum Film
- 20-seitiges dreisprachiges Booklet mit Texten von Hanns Heinz Ewers und einem Essay von Stefan Drößler
Herausgeber: Filmmuseum München und Goethe-Institut
DVD-Authoring: Tobias Dressel
DVD-Supervision: Stefan Drößler
1. Auflage Juli 2016, 2. Auflage Dezember 2016, 3. Auflage Juni 2021