Professor Traugott Hermann Nägler hat strengste Prinzipien, was Moral, Pflichterfüllung und Disziplin angeht. Das bekommen nicht nur seine Schüler, sondern auch seine liebenswerte Gattin und seine zwölf Kinder zu spüren. Eines Tages gerät er und sein wohlgeordnetes Weltbild in arge Bedrängnis: Seine von ihm einst wegen eines Fehltritts verstoßenen Schwester vererbt ihm ihr Vermögen nur unter der Bedingung, daß eine seiner Töchter innerhalb eines Jahres ein uneheliches Kind zur Welt bringt. Die DVD präsentiert die restaurierte Originalfassung der ersten und besten Verfilmung der populären Komödie sowie Schallplattenaufnahmen von Curt Goetz und ein Interview mit Valerie von Martens über die Entstehung des Films.
Die Filme
Das Haus in Montevideo - BRD 1951 - Regie: Curt Goetz & Valerie von Martens - Drehbuch: Curt Goetz und Hans Domnick, nach dem Theaterstück von Curt Goetz - Kamera: Werner Krien - Musik: Franz Grothe - Darsteller: Curt Goetz (Professor Traugott Hermann Nägler), Valerie von Martens (Marianne Nägler), Albert Florath (Pastor), Lia Eibenschütz (Madame de la Rocco), Jack Mylong-Münz (Anwalt), Eckart Dux (Herbert Kraft), Rudolf Reiff (Bürgermeister) - Produktion: Hans Domnick Filmproduktion GmbH, Göttingen - Premiere: 8. November 1951 (Metro im Schwan, Frankfurt am Main)
Erinnerungen an Curt Goetz - Valerie von Martens-Goetz erzählt - BRD 1983 - Drehbuch und Regie: Horst Jaedicke - Kamera: Heribert Schuster - Fernsehbearbeitung: Andreas Oesterle - Produktion: Süddeutscher Rundfunk (heute: Südwestrundfunk), Stuttgart
Tondokumente
Interview mit Curt Goetz - Schweiz 1947 - Mit: Werner Hausmann und Curt Goetz - Produktion: Schweizer Radio DRS, Zürich
Herbst - BRD 1958 - Hörspiel und Regie: Curt Goetz, nach seinem Einakter Mit: Valerie von Martens (Cyprienne), Curt Goetz (Graf Dingelstädt), Herta Staal (Florence), Klaus Miedel (Sprecher) - Produktion: Electrola, Berlin
Über den Film
Moral kennt keine Ferien - Das Kino des Curt Goetz
Jetzt kommt ein Wort, heißt "Parallelepipedon', wird einmal drüber gelacht und nicht wieder", mit diesem Satz pflegte Studienrat B. seine Jungen in der Mathematikstunde bei der Stange zu halten. Von seinem Geist ist Film-Professor Nägler in dem Haus von Montevideo erfüllt: ein Moralist und Hypokrit. Fünfzehn Wochen lang ist der Film, den Curt Goetz nach der "Toten Tante" drehte, allein in Hamburg in einem einzigen Kino gelaufen. 135 000 Besucher haben ihn dort gesehen, und seit einiger Zeit wird er in vielen Hamburger Lichtspielhäusern nachgespielt. Fast ebenso groß ist der Erfolg in Berlin und Köln und anderen Städten. Ein harmlos-netter Unterhaltungsfilm ist der größte Erfolg seit Kriegsende geworden. Es ist ein Film ohne Supererotik wie Die Sünderin, ohne Superaufwand wie Der bunte Traum. Ja, es ist nicht eigentlich ein Film, sondern verfilmtes Theater, und das im Bühnenstück noch zweideutige Haus in Montevideo ist ganz eindeutig eine moralische Anstalt für musikliebende junge Mädchen geworden. Der Film ist lustig, aber nicht seicht. Er ist pikant, aber es gab pikantere Filme. Dieser Film appelliert ganz und gar nicht - wie die meisten bisherigen "Erfolgsfilme" - an sentimentale Gefühle und Triebe, sondern an die Verständigkeit des Publikums, an die Verständigkeit den Realitäten gegenüber.
Der Erfolg des Hauses in Montevideo also widerlegt klar und deutlich all jene Filmleute, die sich so gern auf den schlechten Geschmack des Publikums berufen. Er zeichnet sich durch Humor und Natürlichkeit und durch eine Hauptfigur aus, die weder Held noch Bösewicht ist, sondern ein liebenswert vertrottelter, scheußlich pedantischer, aber gutwilliger Mensch, der ständig damit beschäftigt ist, sich selbst zu überwinden. Ihm zur Seite die Mutter seiner zwölf brillentragenden, aber sonst gar nicht außergewöhnlichen Kinder, eine Durchschnitts-Hausfrau, ohne leuchtenden Verstand, doch mit natürlichem Charme und praktischem Instinkt. Jeder im Kino erhält humorvolle Lektionen über seine eigenen Unzulänglichkeiten und die Marotten der anderen, und alles ist so heiter und gar nicht verletzend serviert, daß sie unmittelbar die Herzen berühren. Der Durchschnittsmensch also sieht sich selbst, aber nicht wie er sein möchte, sondern wie er ist oder doch sein könnte.
Die Kernsätze von Professor Nägler "Moral kennt keine Ferien" und "Moral hat nichts mit Logik zu tun" zum Beispiel verwirren sich selbst in diesem moralischen Muster Mensch äußerst schnell durch eine Erbschaft, die ihm zuteil wird, durch das Geld der toten Tante. Sogleich beginnt der Professor, Fabeln zu erzählen vom Wolf, der mit dem Schäfchen spielen will, vom Hirten, der klüger und vorausschauender sein muß als seine Schäfchen, und vom Manne, der erst die Süßspeise aß und dann die Suppe "heiratete". Denn die tote Tante, die einst wegen eines unehelichen Kindes von dem strengen Bruder nach Montevideo vertrieben wurde, hat sich im Testament durch eine Klausel, die ihr eigenes Schicksal wiederholen soll, gerächt und bringt die Familie, die gerade eine Tochter verheiraten will, in große Versuchung.
Viel von seinem überwältigenden Erfolg verdankt der Film der attackierenden Art von Goetz, die Pointen auszuspielen und die Gespräche anzuheizen. Er erregt damit auch heute noch jubelnde Freude, selbst wenn man sie fast auswendig kennt. Er hat so sprudelnde Einfälle, daß er sie oft wieder fallen läßt, ohne sie richtig anzuwenden. So darf man nur am Anfang einmal darüber lachen, daß ganz kleine Nägler-Kinder in Wagnerverehrung "Wotan" und "Parsifal" heißen, und dann nicht wieder. Aber manchmal ist er in diesem Film ganz wie zu Hause in dem engen Rahmen braver Bürgerlichkeit und breitet, offensichtlich im treuen Angedenken an seinen Professor die mimischen Übertreibungen gehörig aus, so daß die Harmlosigkeit eklatant wird.
Das Publikum aber lacht schallend und verläßt das Kino angefüllt mit heiterem Optimismus, der ansteckend wirkt und neue Besuchermassen hineinführt, die auch lachen wollen. Hier werden ihnen keine falschen Tränen abgepreßt, hier werden sie nicht künstlich in Erregung getrieben im alten Stil der Traumfabrik und nicht in Furcht in einem neuen Stil, der ihnen die Wahrheiten mit kalter Routine ins Gesicht schleudert. Sicher waren schon viele andere Filme vorher so sauber inszeniert, viel besser photographiert und überzeugender gespielt, denn Curt Goetz liebt zuweilen ausgewalzte mimische Kabinettstückchen und scheut nicht spitzfindige Konstruktionen, in diesem Fall sogar ausgetüftelte Schiffskonstruktionen, die um siebenundzwanzig Zentimeter zu kurz sind, damit die Handlung weitergeht. Aber er ist ein Zauberer, und die Rekordbesucher kümmern sich nicht um die Spitzfindigkeiten, sie strömen herbei, weil sie die Natürlichkeit dem Gestelzten, die Einfachheit der Raffinesse, den Humor der Angst und dem Grimm vorziehen. Und ganz im geheimen erlaubt ihnen der Film sogar, Gemüt zu haben und ein bißchen von der Gartenlaube zu träumen.
Erika Müller, Die Zeit Nr. 11 vom 13.3.1952
DVD-Features
- Das Haus in Montevideo 1951, 104'
- Filmtrailer zu Curt-Goetz-Filmen 1949-1952, 9'
- Erinnerungen an Curt Goetz - Valerie von Martens-Goetz erzählt 1983, 9'
- Radiobeitrag Interview mit Curt Goetz 1947, 4'
- Hörspiel Herbst 1958, 25'
- 8seitiges Booklet mit Texten von Curt Goetz und Susanne Marschall
Herausgeber: Filmmuseum München, Goethe-Institut München
DVD-Authoring: Ralph Schermbach
DVD-Supervision: Stefan Drössler
1. Auflage August 2007, 2. Auflage Oktober 2007, 3. Auflage März 2008, 4. Auflage März 2009, 5. Auflage August 2010, 6. Auflage November 2010, 7. Auflage 2012, 8. Auflage November 2012, 9. Auflage November 2013, 11. Auflage März 2015, 12. Auflage November 2016, 13. Auflage September 2019, 14. Auflage Februar 2021
Trailer zum Film
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