Ausgerechnet Veit Harlan, im Dritten Reich als Protegé von Joseph Goebbels und nach dem Krieg wegen seiner Regie bei dem antisemitischen Propagandafilms Jud Süss vor Gericht gestellt, wagte sich 1957 an ein heißes Eisen: Den § 175, der homosexuelle Betätigung bei Männern unter Strafe stellte. Anders als du und ich ist aber nicht nur ein Film über ein Tabu-Thema, das damals ein Verbot des Films nach sich zog, sondern auch ein interessantes Dokument über jugendliches Aufbegehren gegen die restaurativen Strukturen im Wirtschaftswunderland und über den Gewissenskonflikt einer Mutter, die einen Rechtsbruch begeht, um "das Richtige" zu tun. Die DVD zeichnet die Zensurgeschichte des Films nach und präsentiert erstmals auch einen Szenenvergleich mit der ursprünglichen, nie veröffentlichten Version Das dritte Geschlecht, eine nicht verwandte Szene und Standfotos.
Der Film
Anders als du und ich (§175) / Das dritte Geschlecht - BRD 1957 - Regie: Veit Harlan - Drehbuch: Felix Lützkendorf, nach einer Idee von Robert Pilchowski - Kamera: Kurt Grigoleit - Musik: Erwin Halletz, Oskar Sala - Darsteller: Christian Wolff, Paula Wessely, Paul Dahlke, Ingrid Stenn, Friedrich Joloff, Hans Nielsen, Günther Theil, Hilde Körber, Paul Esser - Produktion: Arca-Filmproduktion GmbH, Berlin - Premiere: 31.10.1957, Stuttgart (Anders als du und ich) / 29.8.1957, Wien (Das dritte Geschlecht) -
Über den Film
Ein Film über jugendliches Aufbegehren gegen ein autoritäres Elternhaus. Ein Film über eine Mutter, die verzweifelt eine Rechtsbruch begeht, um ihren Sohn wieder auf die "richtige Bahn" zu bringen. Ein Film gegen den Paragraphen 175, der homosexuelle Aktivitäten ins schummerige Milieu verbannt. Veit Harlan, im Dritten Reich als Protegé von Joseph Goebbels Star-Regisseur historischer Schlachtenfilme, todessüchtiger Melodramen und des antisemitischen Propagandafilms Jud Süss, wagte mit seinem Nachkriegsfilm Anders als du und ich viel, und setzte sich doch wieder zwischen alle Stühle. Unter seinem ursprünglichen Titel Das dritte Geschlecht durfte der Film nur im Ausland gezeigt werden, wobei er von den nationalen Zensoren unterschiedlich bearbeitet wurde. Schon bei der Premiere in Österreich fehlten ganze Szenen. In Deutschland wurde der Film zunächst vollständig verboten, die Presse fiel über Harlan her, der erst gegen die Juden gehetzt habe und nun gegen die Homosexuellen. Nicht in die Öffentlichkeit gelangten die wahre Gründe der Freiwilligen Selbstkontrolle der deutschen Filmwirtschaft (FSK), den Film nicht zuzulassen: Sie warf Harlan vor, daß er das kleinbürgerliche Elterhaus seines Protagonisten zu negativ zeichne und daß sich deshalb "eine Überbewertung des Kreises der Homosexuellen" ergäbe. Der Film würde deswegen "sittlich verwirrend und damit entsittlichend auf weite, normal empfindende Kreise wirken" und müsse "aus dem Gesichtspunkte der Erhaltung der Volksgesundheit (...) vom Publikum ferngehalten werden". Erst nachdem Harlan ein Plädoyer gegen den Paragraphen 175 aus dem Film herausnimmt, in nachträglich synchronisierten Dialogen die Amoralität und strafbarkeit homosexuellen Verhaltens hervorhebt und in einer nachträglich gedrehten Szene den homosexuellen Hauptprotagonisten verhaften läßt, wird der Film in der Bundesrepublik unter dem Titel Anders als du und ich freigegeben. Dabei sieht Harlan in seinem Film keineswegs Homosexualität als positive Lebensalternative, der Film betont die "Unnatürlichkeit" der homosexuellen Lebenswelt, die sich in abstrakter Malerei und in atonalen Musikexperimenten niederschlägt.
Zum ersten Mal werden auf dieser DVD nie veröffentlichte Szenen der ungekürzte Version des Films, Das dritte Geschlecht, und die überarbeitete Kinoversion Anders als du und ich. § 175 gegenübergestellt und die Veränderungen an dem Film, die Veit Harlan vornehmen mußte, dokumentiert. Im ROM-Bereich befinden sich bislang unbekannte Zensurbescheide und Briefwechsel von Veit Harlan.
Stefan Drössler
DVD-Features
- Anders als du und ich 1957, 92'
- Geschnittene Szene und Szenenvergleich mit der originalen Fassung Das dritte Geschlecht 40'
- Aushang- und Pressefotos
- Dokumente zur Produktionsgeschichte im DVD-ROM-Bereich
Herausgeber: Filmmuseum München, Goethe-Institut München
DVD-Authoring: Ralph Schermbach
DVD-Supervision: Stefan Drössler
1. Auflage Dezember 2006, 2., um Informationen im Booklet erweiterte Auflage Juni 2007, 3. Auflage November 2013
Besprechungen